Vom Keynote Experten und Top Speaker Peter Brandl

Krisenmanagement der Piloten – Und was Unternehmen daraus lernen können. Teil 1

Es gibt kaum einen Bereich, in dem Krisen so schnell so dramatische Auswirkungen annehmen können, wie die Luftfahrt und die Intensivmedizin, letzteres haben wir in den letzten Wochen leider dramatisch sehen müssen. Jetzt ist mein medizinisches Wissen ziemlich überschaubar – als Pilot kann ich aber genau beschreiben, was die Strategien sind, die man im Cockpit anwendet, um schwierigste Situationen zu meistern und das Flugzeug erfolgreich und sicher zu landen.

An dieser Stelle werde ich oft gefragt, inwieweit man die Cockpitwelt auf normale Unternehmen übertragen kann. Manche sagen auch, im Cockpit ginge es nur um Checklisten und Ruhe bewahren. In Wirklichkeit geht es um viel mehr. Es geht um grundlegende Strategien und Verfahren – und die kann man hervorragend auf Unternehmen übertragen – besser sogar, als manche sich vorstellen können.

Im Cockpit gibt es einen einfachen Grundsatz: Aviate – navigate – communicate! Und zwar in dieser Reihenfolge. Kümmere dich zuerst darum, dass Flugzeug zu fliegen, dann um Navigation und Orientierung und als drittes, Kommuniziere mit anderen, zum Beispiel den Lotsen am Boden.

Was auf den ersten Blick offensichtlich oder sogar banal erscheint, hat es in Wirklichkeit in sich. Unter Stress neigt unser Gehirn zu Reaktionsmustern wie „Angreifen“, „Abhauen“ oder „Totstellen“. Wer hat sich nicht schon einmal vor einer wichtigen Prüfung oder einem wichtigen Präsentationstermin in alle möglichen Ablenkungen geflüchtet?

Es gibt genügend Unfallberichte darüber, wie ein kleines Problem, wie zum Beispiel ein durchgebranntes Glühbirnchen, die Aufmerksamkeit der Piloten so in Anspruch genommen hat, dass sie nicht bemerkt haben, wie versehentlich der Autopilot ausgeschaltet wurde, das Flugzeug dadurch in einen leichten Sinkflug übergegangen ist und schließlich in den Everglades in Florida zerschellte.[1] Im Unternehmen gründen wir Arbeitskreise und verzetteln uns in blindem Aktionismus und bekommen gar nicht mit, dass der Kundenstamm erodiert oder eine neue Technologie aufkommt, die unsere Dienstleistung schlicht überflüssig macht.

Wie kann man nun die Maxime „Aviate – first fly the aircraft“ auf Unternehmen übertragen?

Aviate – ist im Unternehmen gut mit dem Kernprozess zu vergleichen. Und ich meine Kernprozess hier nicht unbedingt in dem Sinne, in dem der Begriff oft von Unternehmensberatungen gebraucht wird. Ich verstehe darunter die eigentliche Daseinsberechtigung eines Unternehmens. Warum gibt es Sie – oder besser ausgedrückt: Welches Problem lösen Sie? Gerade in einer Krise ist diese Frage mehr als notwendig, um nicht in simplen Aktionismus zu verfallen.

Ich bin immer wieder überrascht, wie häufig Unternehmen und ihre Manager/-innen bei dieser einfachen Frage ins Straucheln geraten. Je länger der Satz wird, mit dem Sie diese Frage beantworten, um so weiter haben Sie sich wahrscheinlich schon von Ihrem Kern entfernt. Und das ist auch gar nicht so überraschend. Im Laufe der Zeit werden Prozesse komplexer, Lösungen und Angebote vielfältiger und dann gibt es noch jede Menge Sonderlösungen.

So lange nun alles im grünen Bereich ist, die Wirtschaft brummt und die Umsätze fließen, gibt es hier auch kein akutes Problem. Schwierig wird es, wenn es schwierig wird. In dem Moment, wo die Rahmenbedingungen, warum auch immer, suboptimal werden, rächt es sich, vorher den Fokus verloren zu haben.

Die gute Nachricht: dieser Prozess ist fast immer umkehrbar. Am leichtesten natürlich, wenn die Bedingungen noch gut sind und Sie eigentlich keine Not haben. Dann können Sie Ihre volle Aufmerksamkeit wieder auf diese Kernfrage stellen: Wofür sind wir da und welches Problem lösen wir?

Das Spannende ist: wenn Sie das tun, kann es leicht sein, dass Sie noch von ganz anderen Effekten positiv überrascht werden. Also: stellen Sie Ihren Kunden wieder in den Mittelpunkt. Beantworten Sie sich die Frage, welches Problem Sie lösen und wer das Problem hat. Und als letztes können Sie Strategien entwickeln, wie Sie diese Dienstleistung, nämlich ein Problem Ihres Kunden zu lösen, in Zukunft noch besser machen können.

Der zweite Teil der Strategie, „Navigate“ ist mindestens so wichtig, wie der erste. Ganz nach dem Motto „Als wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren haben, verdoppelten wir unsere Anstrengungen“ manövrieren sich Unternehmen oft selbst immer tiefer in die Krise.

Wie Sie aus diesem negativen Strudel herauskommen, darum geht es in Teil 2 dieses Beitrags.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Eastern-Air-Lines-Flug_401